Im Zuge der aktuellen Pandemie haben wir uns gefragt, wie wir eine Mitgliederversammlung durchführen können, ohne dass wir an einem Ort zusammenkommen müssen. Zwar läuft bei uns vieles digital, aber auch wir haben bisher Präsenzmitgliederversammlungen veranstaltet, um unseren Vorstand zu wählen. Deshalb haben wir eine Geschäftsordnung für diesen Fall ausgearbeitet, hier zu finden ist: https://wiki.demokratielabor.net/verein:go-online-mv
Inhaltsverzeichnis
Rechtliche Hintergründe
Achtung: Wir sind keine Jurist:innen. Wir geben hier unsere Laienmeinung wieder.
Es ist nicht erforderlich, eine Online-Mitgliederversammlung durchzuführen, wenn man sich nicht treffen kann. Das BGB sieht in § 32, Absatz 2 vor, dass ein Beschluss auch dann gültig ist, wenn alle Mitglieder ihre schriftliche Zustimmung zum Beschluss erklären. Es ist aber bei vielen Vereinen problematisch, alle Mitglieder dazu zu bringen, ihre schriftliche Zustimmung zu geben. Sollte ein Mitglied es vergessen haben oder dem nicht zustimmen, kommt kein Beschluss zustande. Das Problem hat auch der Gesetzgeber erkannt und deshalb im “Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht”, nachfolgend “COVID-Abmilderungsgesetz” genannt, unter Artikel 2, § 5, Absatz 3 Anpassungen vorgenommen. Demnach gilt ein Beschluss als angenommen, wenn alle Mitglieder beteiligt wurden, die Hälfte der Mitglieder ihre Stimmen in Textform abgegeben hat und die Mehrheit erreicht wurde. Dabei ist aber nicht ganz klar, ob das mit Vorstandswahlen auch so einfach ist.
Auch die Amtszeit des Vorstandes wird nach Artikel 2, § 5, Absatz 1 des COVID-Abmilderungsgesetz verlängert. Es muss also nicht unbedingt ein neuer Vorstand gewählt werden und die Mitgliederversammlung kann ausgesetzt werden. Dennoch ist es wichtig zu wissen, dass diese Regeln laut dem COVID-Abmilderungsgesetz nur bis zum 31. Dezember 2021 gelten, wenn der Gesetzgeber sie nicht verlängert. Es besteht also nicht unbedingt die Pflicht, eine Mitgliederversammlung durchzuführen, zumindest in diesem Jahr. Warum sollte man aber nicht die Vorteile der modernen Technik nutzen und eine Mitgliederversammlung online stattfinden lassen? Parteien machen das ja auch.
Das BGB enthält keine Vorschrift darüber, wie eine Versammlung stattzufinden hat. Die Autor*innen der Kommentare dazu, z.B. von Dr. Rafael Hörmann sind sich aber einig, dass eine Online-Mitgliederversammlung nicht stattfinden kann, wenn die Satzung dies nicht ausdrücklich erlaubt. 2011 gab es vom OLG Hamm dazu ein Urteil, auf das sich die meisten Anwälte beziehen. Laut dem Urteil kann ein Verein durch die Satzung regeln, dass eine Mitgliederversammlung auch online durchgeführt werden kann.
Die Regeln unserer Mitgliederversammlung zur Vorstandswahl sehen das nicht vor. Praktisch müssten wir also eine Satzungsänderung beschließen. Der Beschluss ist bei uns durch unsere Ständige Mitgliederversammlung kein Problem. Bevor aber ein Satzungsänderungsantrag rechtlich wirksam ist, muss die Änderung ins Vereinsregister eingetragen werden. Dies muss über einen Notar geschehen, bei dem man sich vor Ort ausweisen und unterschreiben muss. Bei den derzeitigen Umständen also auch eher schwierig. Daher räumt das COVID-Abmilderungsgesetz im Artikel 2, § 5, Absatz 2 die Möglichkeit ein, dass eine Mitgliederversammlung auch ohne Satzungsänderung auf elektronischem Wege stattfinden kann. Da setzen wir an und haben deshalb eine Geschäftsordnung zur Durchführung einer Online-Mitgliederversammlung geschrieben.
Praktische Umsetzung
Software
Wir haben uns in unserer Geschäftsordnung darauf geeinigt, für die Mitgliederversammlung die Voice-Over-IP-Software Mumble einzusetzen. Es ist nicht unbedingt notwendig, dass wir jedes Mitglied sehen. Es reicht, wenn wir uns hören. Natürlich kann auch eine Videokonferenz-Software wie Skype, Cisco Webex oder Jitsi Meet verwendet werden. Für Mumble haben wir bereits einen Server und können die Versammlung damit ohne größeren Aufwand durchführen. Die Software bietet die Möglichkeit, mehrere Räume einzurichten, um Sprecher:innen und Zuhörer:innen voneinander zu trennen und die Versammlung besser zu ordnen. Wichtig ist, dass es auch eine Chat-Funktion gibt. Auf Präsenzveranstaltungen kann man sich durch Handzeichen bemerkbar machen. Bei größeren Online-Versammlungen ist es mitunter schwierig anzuzeigen, dass man einen Redebeitrag halten oder einen Geschäftsordnungsantrag einreichen möchte. Mit einem Chat wird das einfacher.
Teilnahme
Jedes Mitglied bekommt einen Login-Account (ID) und ein Passwort zugeschickt, mit dem es sich im Mumble einloggen kann. Unsere Mitgliederversammlungen finden traditionell öffentlich statt. Deshalb haben wir uns entschieden, die IDs so zu vergeben, dass Versammlungsgäste sie nicht einer Person zuordnen können. Damit wollen wir datenschutzrechtlich sicher gehen. Wir werden aber vor der Versammlung eine Liste der IDs mit den dazugehörigen Namen über unseren internen Mitgliederverteiler schicken, damit jedes Mitglied weiß, wer hinter welcher ID steckt. Mitglieder, die sich nicht mit der ID anmelden, haben kein Stimmrecht. Die Ausnahme bildet hier der Vorstand. Der Vorstand darf und muss als Vertretung des Vereins mit Klarnamen teilnehmen. Die Akkreditierung kann jederzeit erfolgen. Mitglieder können sich also immer wieder einloggen bzw. auch später noch zur Sitzung dazukommen. Wichtig ist hierbei, dass die Mitglieder selbst für ihre Daten bzw. Login in Mumble verantwortlich sind, weil die Versammlungsleitung das nicht überprüfen kann. Da man in Mumble per se keine Nutzeraccounts für andere anlegen kann, haben wir uns extra ein kleines Tool gebaut, um Logins und Passwörter in der Form zu generieren, wie sie vom Mumble-Server in der Datenbank erwartet werden. Dieses Tool stellen wir unter https://github.com/Demokratielabor/mumble-pass für alle Interessierten zur Verfügung.
Abstimmungen
In der Geschäftsordnung zur Online-Mitgliederversammlung haben wir festgelegt, dass Abstimmungen und Wahlen grundsätzlich offen abgestimmt werden, es sei denn, es wird ein Geschäftsordnungsantrag auf geheime Abstimmung gestellt. Das ist zulässig, weil das BGB nicht vorschreibt, dass eine Abstimmung oder Wahl in einem Verein geheim sein muss. Wenn sich alle Mitglieder einig sind, kann der Vorstand auch offen gewählt werden. Für Parteien gilt diese Regel übrigens nicht (vgl. Parteiengesetz § 15, Absatz 2). Trotzdem möchten wir, dass Mitglieder die Möglichkeit haben, geheim abzustimmen oder zu wählen. Deshalb haben wir die Möglichkeit hinzugefügt, durch einen Geschäftsordnungsantrag geheim abstimmen oder wählen zu lassen. Die Abstimmung oder Wahl wird dann auf eine Briefwahl verlegt. Die Wahlleitung entscheidet, wo und in welchem Zeitraum sie stattfindet. Sie legt fest, wo die Wahlunterlagen hin geschickt werden, damit die Wahlleitung sie entgegennehmen kann und wie viel Zeit dafür besteht. Voraussichtlich werden die Mitglieder zwischen zwei und vier Wochen Zeit haben, diese auszufüllen. Die Wahlunterlagen werden vom Vorstand an die Mitglieder verschickt. Dabei orientieren wir uns an der Briefwahl bei Landtags- oder Bundestagswahlen. Die Wahlunterlagen verschicken wir also per Großbrief. Darin befinden sich die Erklärung zur Briefwahl, der Wahlzettel ein unbeschrifteter Umschlag für den Wahlzettel sowie ein frankierter und beschrifteter Umschlag für die Rücksendung des Wahlbriefs und der Erklärung zur Wahlleitung. Wir haben uns entschieden, die Unterlagen als „Prio-Brief“ zu verschicken, sodass die Briefe am nächsten Tag ankommen und der Sendungsstatus online nachvollzogen werden kann. Zur Auszählung werden wir einen öffentlichen Livestream einrichten, damit andere zuschauen können, dass alles korrekt vonstatten geht. Da die Versammlung bis zum Ende der Auszählung weiter läuft, muss auch die Versammlungsleitung dabei sein, um das Ergebnis festzustellen und die Versammlung zu schließen. Auch müssen die Kandidierenden gefragt werden, ob sie die Wahl annehmen. Das kann aber bereits während der Versammlung abgefragt und ins Protokoll aufgenommen werden. Versammlungsämter dürfen laut unserer Geschäftsordnung nicht geheim gewählt werden. Damit wollen wir verhindern, dass die Versammlung extrem in die Länge gezogen wird, falls ein Mitglied die geheime Wahl dieser fordert. Warum machen wir uns diesen Aufwand? Warum richten wir nicht einfach online eine Abstimmungs- und Wahlsoftware ein und lassen die Mitglieder darüber abstimmen oder wählen? Da macht das Wahlcomputer-Problem uns einen Strich durch die Rechnung. Wahlen müssen geheim und nachvollziehbar sein. Mit einem Wahlcomputer können geheime Wahlen aber nie nachvollziehbar sein, weil nicht klar ist, wie dieser die Stimmen auszählt. Mit unserem Ansatz wollen wir eine Alternative ausprobieren, die geheime und nachvollziehbare Wahlen mit einer Online-Versammlung kombiniert.
Antrag auf Wiederholung
Falls ein Mitglied bei einer Abstimmung oder bei einer Wahl den Eindruck hat, die Rechtmäßigkeit sei gefährdet, kann dieses Mitglied einen Antrag auf Wiederholung stellen. Dazu muss aber eine einfache Mehrheit bei der Abstimmung dieses Geschäftsordnungsantrages erreicht werden. Das bedeutet natürlich auch, dass die Briefwahl erneut durchgeführt wird. Ein Geschäftsordnungsantrag kann während der Sitzung gestellt werden, in dem eine Nachricht im Chat mit “!GO-Antrag” getaggt wird.
ToDo
In unserer Geschäftsordnung sehen wir noch einige Aspekte, die eventuell angepasst werden müssen.
Versammlungsämter ändern
Im Moment gibt es keine Möglichkeit, Versammlungsämter neu zu besetzen. In Zukunft wäre es sinnvoll, eine Möglichkeit zu schaffen, diese zu ändern, z.B. über einen Geschäftsordnungsantrag.
Versammlungsleitung vs. Technischer Admininistrator
Im Moment ist die Versammlungsleitung technisch mit dem Admin vom Mumble gleichgestellt, d.h., der Admin kann ebenso wie die Versammlungsleitung Menschen vom Server ausschließen und Mitglieder stumm stellen. Dazu haben wir folgende Idee: “die VL darf, ohne weitere Wahl, VL-Helfer:innen ernennen, die Versammlung kann eine Aussprache über die Helfer:innen verlangen” oder ähnliches, um die Berechtigungen des Admins klarzustellen.
Delegierung zur Briewahl
Wir bieten in unserer Satzung an, dass Mitglieder ihre Stimme an eine Person delegieren können, wenn sie zur Mitgliederversammlung verhindert sind. Wir haben noch nicht abschließend festgelegt, wie das für die Briefwahl aussehen könnte. Derzeit planen wir, die Personen, die ihre Stimme delegiert haben, anzuschreiben. Dann können sie entscheiden, ob sie selbst bei der Briefwahl abstimmen wollen. Sollten die Angeschriebenen sich nicht bis zu einem bestimmten Termin zurückmelden, dann stimmt die Person ab, die die Delegation erhalten hat.
Briefwahl auch außerhalb der Versammlung
Im Moment findet die Briefwahl während der Versammlung statt bzw. die Versammlung geht bis zur Auszählung der Briefwahl weiter. Wir überlegen derzeit, ob die Briefwahl auch außerhalb der Versammlung stattfinden kann.
Wir führen unsere Mitgliederversammlung am Samstag, dem 10.04.2021 durch. Danach (oder nach einer Briefwahl, sollte sie kommen) werden wir weitere Ergänzungen hier im Blogpost vornehmen.